Samstag, 6. Dezember 2008


Kriminalisten der Polizeidirektion Nord suchen nach Ansätzen in elf offenen Kapitalverbrechen aus Altmark, Börde und Harz


Neue Spuren in alten Akten? Kripo jagt Täter ungeklärter Morde


Von Bernd Kaufholz



Seit Anfang dieses Jahres liegen bei den Mordermittlern der Polizeidirektion Nord kistenweise Akten. Unterlagen mit ungeklärten Tötungsdelikten der letzten Jahre. Hintergrund ist die Polizeistrukturreform und die daraus resultierende Tatsache, dass aus den einst drei Mordkommissariaten im Norden Sachsen-Anhalts eine Abteilung wurde. Die Spezialisten um FK 2-Chef Harald Meier haben den Ehrgeiz, in alten Akten neue Spuren zu nden. Magdeburg. Gerhard Behne blättert in einem Aktenband: "Heike Rimbach, Mord", steht auf dem hellroten Deckel. Das Kapitalverbrechen an der jungen Frau aus dem Harz im August 1995 gehört zu den Fällen, die den Ermittlern des 2. Fachkommissariats der Polizeidirektion Nord, zuständig für Verbrechen gegen Leib und Leben, unter den Nägeln brennen


Die 19 Jahre alte Heike Rimbach war blutüberströmt auf dem Trockenboden, gleich neben ihrem Zimmer in der ehemaligen Schäferei in Lüttgenrode (Harzkreis), gefunden worden. Die junge Frau hatte einen Hanfstrick um den Hals und hing in Hockstellung an einem Holzpfosten. Sie war verblutet. "Patenschaften" für Fälle
Trotz intensiver Ermittlungen hatte das Halberstädter FK 2 bis zu seiner Au ösung den Mörder nicht gefunden. 13 Jahre nach der Tat versucht nun ein neues Ermittlerteam, die harte Nuss zu knacken. "Wir lesen uns in die Akten ein", beschreibt Mordkommissionschef Harald Meier die Vorgehensweise seiner 14-köpfigen Mannschaft. "Was haben die Kollegen damals vor Ort gemacht? Welche Spuren gibt es? Welche Spuren wurden nicht oder ungenügend ausgewertet? Welche neuen Methoden – zum Beispiel in Bezug auf die DNA – könnten weiterhelfen?" Immer zwei Mann bilden ein Team und übernehmen "die Patenschaft über einen Fall", so der Erste Kriminalhauptkommissar. Es dauere Wochen, bis die Duos alle Unterlagen über ein Kapitalverbrechen durchforstet haben.
Das FK 2 hat sich vorerst elf Fälle vorgenommen. Darunter auch einen weiteren Mord an einer jungen Frau. Am 4. September 1998 war Anja Lengnick aus Aschersleben (Salzlandkreis) nach der Disko vor der Haustür der elterlichen Wohnung erstochen worden. Zwar hatte die Kripo unmittelbar nach der Tat den ehemaligen Freund der 16-Jährigen im Visier. Doch war der junge Mann nach mehreren Verhören wieder nach Hause geschickt worden. Dort will die Meier-Truppe wieder ansetzen. "Ich bin optimistisch, dass wir einige der Fälle noch lösen werden", ist sich der FK 2-Leiter sicher. Besonders, wo es DNASpuren gebe, sei die Chance groß. Mut mache ihm der Fall Maria Juhl aus Haldensleben. Der Mörder der Siebenjährigen war zehn Jahre nach dem Sexualdelikt verurteilt worden.
Zu den ungeklärten Fällen, bei denen den Ermittlern ein "genetischer Fingerabdruck" vorliegt, gehört auch der Fall Roland W. aus Magdeburg. Der 35-Jährige war am 26. Oktober 2000 von Verwandten in seiner Magdeburger Plattenbauwohnung erschlagen aufgefunden worden. An der Tatwaffe, einer Flasche, wurde DNA festgestellt. "Natürlich vergleichen wir diese Spur mit jeder neuen, die in die Datenbank eingestellt wird." Außerdem werde noch einmal das Umfeld des Behinderten abgegrast. "Wir gehen davon aus, dass sich Opfer und Täter kannten", sagt Meier. Grundsätzlich handelt es sich bei den Straftaten um Fälle, die vorläufig eingestellt wurden. So auch der mysteriöse Mord an dem Magdeburger Multi-Geschäftsmann Paul Saib. Er wurde am 27./28. September 2001 in seinem Haus in Theeßen (Jerichower Land) mit seinem eigenen Jagdgewehr erschossen.
"Brisant, brisant", charakterisiert der Mordermittler das Geschehen vor sieben Jahren. "Aber mit Hauptkommissar Carsten Weschke habe ich einen Mitarbeiter, der bereits als Leiter der Soko ,Paul‘ in der PD Stendal am Fall saß", sagt Meier. "Die Akten liegen noch bei der Staatsanwaltschaft. Wie in jedem Fall, so kann nur die Anklagebehörde grünes Licht geben, damit die Ermittlungen wieder aufgenommen werden können." Ringen mit Vorurteilen
In der "Lesephase" befinde sich das FK 2 im Mordfall Hartmut Felix Bürger. Der 51 Jahre alte Geschäftsmann aus Harzgerode (Harzkreis) war Ende März 2001 spurlos verschwunden. Seine Leiche wurde einen Monat später im Kofferraum seines Audi, der auf einem Parkplatz des Flughafens Leipzig-Halle abgestellt war, gefunden. Völlig problemlos verlaufe die Aufarbeitung von Altfällen allerdings nicht, weiß der Erste Kriminalhauptkommissar. "Ich verstehe schon, dass Kollegen in den Kreisstadtrevieren manchmal glauben, dass die ,Großstadtpolizisten‘ alles besser wissen und sie zu Statisten degradiert werden." Und auch die Verstimmung einiger Ermittler, die ein Tötungsdelikt ungeklärt abgeben mussten, sei verständlich.
Doch sei die Entscheidung nun mal so getroffen worden: "Die Mordermittler der Sachgebiete 2 in den Kreisstadtrevieren beginnen die Untersuchungen und geben den Fall später an das Magdeburger FK 2 ab." Das schließe nun auch die Ermittlungen bei Alt-Fällen ein. Allerdings versuche er grundsätzlich, die Kollegen in den Kreisen mit ihren Menschen- und Ortskenntnissen eng einzubeziehen. Meier, der seine Kripo-Karriere noch zu DDR-Zeiten begann, kennt diese Arbeitsweise aus der Morduntersuchungskommission des Bezirks Magdeburg und somit auch die gelegentlichen Kompetenz-Missverständnisse.
Der älteste Fall, den sich Meier und sein Team vorgenommen haben, betrifft den Mord an der 60 Jahre alten Wernigeröder Pastorin Waltraud Peper. Sie wurde im September 1988 in einem Wald bei Schierke im Harz ermordet aufgefunden. In die Untersuchung hatte sich damals die Stasi eingeschaltet. Ein Fall, der seinerzeit sogar im italienischen Parlament landete, war der Tod des Managers der Südtiroler Volksmusikgruppe, "Kastelruther Spatzen". Karl Heinz Gross starb am 6. März 2001 auf ungeklärte Weise in Magdeburg.
David D. (24) wurde am 27. Januar 2001 in Wormsdorf (Bördekreis) nach einer Disko geschlagen, getreten und beraubt. Er starb drei Tage später an seinen schweren Kopfverletzungen. Auch um diesen Fall kümmert sich das neue FK 2.